Interview mit Sylke Enders | |||
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![]() Ich wollte etwas über Gewaltbereitschaft von Mädchen machen. Ein junger Bekannter, der sich im Milieu gut auskennt, hat mir von diesen ziemlich harten Mädchenbanden erzählt und dass sie Jungs in punkto Gewalttätigkeit in nichts nachstehen. Das hat mich derart fasziniert, dass ich sofort in das Thema eingestiegen bin. Alles andere kam ganz schnell zusammen: Sie lassen sich etwas zu Schulden kommen und die Justiz reagiert... ![]() ![]() Nein, gar nicht, ich habe eine Schwester, die in der Reha gearbeitet und mir einiges über die Bewohner erzählt hat. Aber "Kroko" war zuerst eine Kopfidee. ![]() ![]() Das war die Grundidee. Danach musste ich natürlich Quellen erschließen und recherchieren. Witzig ist, als wir auf Motivsuche für die Gerichtsszene waren, gingen wir auch ins Rathaus. Da waren gerade Handwerker und ich bat einen, er möge doch bitte schnell als Richter einspringen. Ich sagte: ‚Na, wenn du da schon sitzt, kannst du ja auch was sagen'. Er also: ‚Angeklagte, ich verurteile sie hiermit zu Sozialarbeit in einer Behinderten-WG.' Ich: 'Was? Woher weisst du das? Wer vom Team hat gequatscht?' Darauf er: ‚Wieso? Das habe ich mir gerade ausgedacht'. ![]() Das wirkte wie eine Bestätigung, dass wir richtig liegen. Es gab aber auch andere: Eines Tages habe ich auf der Straße einen Jungen angesprochen, ob er nicht Lust hätte, in einem Film mitzuspielen. Ein Jahr später hatte ich seine Nummer immer noch. Das war Danilo Bauer, der dann "Rolle" gespielt hat. Danilo ist sehr wichtig, weil er seine ganze Familie mit in den Film einbrachte. Sie hat in Nebenrollen mitgewirkt, hat aber auch einige Einfälle geliefert. ![]() ![]() Nein, das war nicht so bewusst. Meine bisherigen Arbeiten waren nie losgelöst von einem bestimmten Milieu. Es geht mir schon um Authentizität. Aber Authentizität gehört in jeden Film, ob ich mich in einem Thriller bewege oder in einem Märchen. Ich muss schon wissen, woher die Figuren kommen, was sie mitbringen und was da noch alles so mitschwingt. Und so kriege ich langsam eine Farbe, eine Stimmung. Das ist jedenfalls meine Art, eine Stimmung zu erzeugen. ![]() ![]() Vielleicht liegs an meiner Lebensweise. Ich treibe mich halt weniger mit Filmleuten rum. Das steht schon in meiner Stasi-Akte, wo ich mich überall herumtreibe. Ich tauche gern mal in andere Milieus ein. Immer da, wo es was zu gucken gibt, das ich zu Hause nicht habe. Aber letztlich ist ja nicht das Was interessant, sondern nur das Wie. ![]() Gut hinhören, immer fleißig die Augen aufmachen. Das ist das Rezept, oder? Wenn du dich nicht bewegst, dann kann auch nichts zu dir kommen. Wenn man sich das nur vornehmen würde, würde das allerdings wohl auch nicht reichen. Da muss noch etwas anderes dazukommen. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, dann gebe ich es zur Kontrolle an Leute weiter, die sich besser auskennen. Auch bei Ausstattung und Kostümbild habe ich immer den Rat anderer eingeholt. Aber neben der konkreten Filmarbeit darf man auch nicht vergessen, mit was für Menschen man es zu tun hat: Viele der hier Mitwirkenden sind in Wirklichkeit sehr chancenlos. Sie sagen dir: ‚Die Realität sieht noch viel drastischer aus, als du sie in einem Film zeigen kannst'. Und da würde ich ihnen auch nicht widersprechen. ![]() Ich weiss nicht, das geht bei mir querbeet. Als erstes fällt mir Milos Forman ein, der in seinen frühen Arbeiten viel mit Laien gearbeitet hat. Das waren wunderbare Filme mit richtigen Querulanten, ohne Klischees. Natürlich Ken Loach und, jetzt habe ich schon wieder einen Tschechen im Kopf, Karel Reisz. In "Aus dem Dunkeln" stimmt einfach alles: die Figuren, ihre Herkunft, ihr Wortwitz, ihre Art, miteinander umzugehen. Das ist mehr als ein Thriller. ![]() Die Frage war hier für mich vor allem, wie man mit Negativfiguren arbeiteten kann. Kann man diese Menschen überhaupt lieben? Oder ist man nur genervt, solchen Leuten zu begegnen. Eine Negativfigur in den Mittelpunkt zu stellen, eine Person, die ihre Gefühle nicht herauslassen kann und daraus etwas zu machen, das positiv wird, das hat für mich einen großen Reiz. ![]() ![]() ![]() Ihre Strafe macht den Blick über den Tellerrand möglich. Sie muss lernen, Schwäche zu zeigen. Aber das geschieht, ohne dass sie gleich ein Rezept in die Hand bekäme. Ich finde es wichtig, etwas so darzustellen, dass es eben nicht auf A plus B gleich C hinausläuft. Es geht mir um eine Sicht auf das Leben, die Komplexität erlaubt, wo viele Faktoren zusammenfließen können und eine Unschärfe bleibt. Entscheidungen spielen sich in Wirklichkeit langsam und oft unspektakulär ab. Auch ein Film muss da etwas offen lassen. ![]() Ich arbeite gern mit Laien, vielleicht auch, weil ich weniger Angst vor ihnen habe, weil ich da immer sagen kann, was ich denke. Zur Arbeit: Wir haben Etüdenspiele gemacht. Das sind keine Improvisationen, das kann man mit Laien nicht machen. Du musst die Situation genauestens vorgeben und die Darsteller auch ein bisschen an der Hand führen. Aber dann bekommst du sehr viel Material. ![]() Die behinderten Darsteller in meinem Film sind alle eigentlich Schauspieler. Sie haben zwar jetzt zum ersten Mal vor der Kamera gestanden, mit Dialog, haben aber alle Bühnenerfahrung. Sie gehören zum Ensemble des Theater Thikwa in Berlin. Zum Teil haben sie Schwierigkeiten gehabt, sich Texte zu merken, da sie auf der Bühne sonst eher Performance, Tanz- und Bewegungstheater machen. ![]() ![]() Aber Kroko stellt auch Gemeinsamkeiten fest. Die fordern ja auch, die haben ja ihre Eigensinnigkeiten und Bandbreiten. Viele Leute, die im Sozialbereich arbeiten, waren übrigens sehr erfreut über diesen Film, weil er weit davon entfernt ist, Menschen vorzuführen, auf diese Mitleidsnummer zu setzen oder den Behinderten sehr eindimensionale Attribute zuzuweisen. ![]() ![]() ![]() Aber ambivalent. Seine Taktik ist, sie auflaufen zu lassen. Es muss nicht immer alles ausgesprochen werden. Es ist besser, Dinge körperlich auszuagieren. Eine Hand zu reichen, das ist auch ein Akt, und schon fließen andere Energien. Das gilt auch für einen Film. ![]() ![]() Franziska Jünger arbeitet als Arzthelferin. Aber sie ist vor allem eine besondere Person und zwischen uns gab es sofort ein Einvernehmen. Franziska hat eine besondere Eigenschaft: Sie nimmt alles auf, sie hört zu, und sie hat eine unwahrscheinliche Disziplin. Ihrer Rolle hat sie sich mit den gleichen Fragen wie ein Schauspieler genähert, instinktiv. ![]() Ich habe lange gesucht nach jemandem, der wirklich berlinern kann und nicht nur so tut, soundso alt ist und wie ein Hahn im Korb präsentieren kann. Ich habe einen Schauspielerfreund gefragt und der hat den Kontakt hergestellt. Nach ein paar Minuten war klar, dass er der Richtige ist. Hinnerk wirkt sehr stark. Er ist präsent und er ist ein großer Entertainer vor dem Herrn. ![]() ![]() Ich sehe da jetzt nicht so große Unterschiede zu den anderen. Aber natürlich kann er gut etwas setzen. Du machst so tänzerische Kung-Fu-Bewegungen auf der Treppe - und ich neige da zum Vormachen -, aber er setzt dann noch mal einen drauf. ![]() ![]() ![]() Nein, das zu behaupten wäre übertrieben. Vielleicht hat es was mit der ganzen Produktion zu tun, wie sie entstanden ist: Aber jetzt, aber ran an die Buletten und los! Das ging ratzfatz, schnell, sehr schnell. Eigentlich lächerlich: Wir haben das in 24 Tagen durchgeritten. Sechs Minuten am Tag erwirtschaftet. Drei, vier, fünf Drehorte. Eine Menge Szenen, natürlich Überstunden. Szenen mit den behinderten Darstellern waren zeitlich nur schwer zu kalkulieren. Vorab schien es, als könnte man einen Film unter diesen Bedingungen gar nicht machen. Aber genau unter diesen Bedingungen konnte man es machen. ![]() ![]() Ja sicher. Aber an dieser Stelle muss ich natürlich auch den Cutter Frank Brummundt erwähnen. Mit ihm hat es fast Spaß gemacht, dieses radikale ‚Kill your darlings'. Ohne mit der Wimper zu zucken haben wir gesagt: Ok, dann schmeißen wir mal eine halbe Stunde raus. ![]() Ich kann wirklich nicht beurteilen, warum es hier funktioniert oder wann ein Zuschauer wie reagiert. Es gibt sicher ein paar Stellen, an denen ich selbst gerührt war, aber in dieser Hinsicht beherzige ich doch gerne das alte Sprichwort: Weniger ist mehr. Du sagst schließlich nicht, ich will einen ganz emotionalen Film machen und machst den dann. Es gibt Geschichten, wo man merkt, dass man manipuliert werden soll und da fühlt man sich hintergangen. Andere sind unsentimental bis zum Letzten, rufen aber die größten Empfindungen hervor. Das sind die, an denen ich interessiert bin. ![]() Klar. Für mich ist es erstmal einfacher, um Frauenfiguren zu kreisen. Aber mir geht es nicht um einen spezifischen Geschlechterunterschied. Es geht mir um individuelle Unterschiede, unabhängig vom Geschlecht. Natürlich kenne ich mich bei Frauen besser aus. Aber ich suche mir schon bestimmte Figuren aus. Das müssen schon eher Gefühlsverwirrte, Gescheiterte sein, nicht immer auf den ersten Blick so tough. Immer in ihrer Ambivalenz gesehen, und natürlich auch mit irgendwelchen männlichen Begleitern, ohne dass ein Geschlecht dem anderen als Vorbild dienen sollte. Sie sollen gleichweg Gescheiterte sein. Ich interessiere mich immer eher schon für Außenseiter, das ist klar. |
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